Der schöne, stolze, unbesiegbare, große Bruder
Ich hatte nie gedacht, dass es wirklich eines geben würde.
Das Muster, nachdem Jiraiya-sama suchte.
Ich dachte, sie würden sich da in etwas hineinsteigern, was es nicht geben konnte, weil es Itachi, der unberechenbare, war, der dieses Datum festlegte.
Welch Ironie, dass es dieses doch gab und was fast noch ironischer war, dass am selben Abend, an dem alles anfing, auch alles beendet werden würde.
Tsunade war bereits vor einer, vielleicht auch schon zwei Stunden gegangen. Ich hatte seit her nicht mehr auf die Uhr gesehen. Mein Blick hängt einzig und allein auf dem Mond, den ich endlich durch das Fenster, das von den Vorgängen nicht verborgen war, sehen kann. Es dauert garantiert nicht mehr lange und dieser ist wieder aus meinem Sichtfeld verschwunden, aber bis dahin will ich es genießen.
Zusammen mit meinem und seinem Kind zu sein.
Vorhin, als Tsunade mir sagte, die Wehen, die eingesetzt hatten, wären nur falscher Alarm gewesen, war ich unglaublich froh darüber, dass meinem Kind nichts passiert und es immer noch bei – in – mir war, wo ich es in Sicherheit wiegte. Und jetzt bin ich unbeschreiblich glücklich.
Ich hatte gefürchtet, er könnte nicht dabei sein, so wie er es wollte.
Nun blicke ich auf zum Mond, den silbernen, den leuchtenden, und kann nichts anderes tun als hoffen. Hoffen darauf, dass Sasuke es überleben wird. Diesen Kampf mit Itachi.
Kämpfen sie denn überhaupt?
Und wenn sie kämpfen, kämpfen sie dann zusammen gegen all die, die später ankamen, um sie zu unterbrechen? Um das zu tun, was ich nicht tun wollte?
Ich seufze.
Naruto war derjenige, der mir das Versprechen gab, mich nie im Stich zu lassen, bei mir zu stehen, egal, was passieren würde und er hatte es nicht gehalten.
Ich hatte fürchterlich geweint, fühlte mich unendlich von ihm betrogen.
Sasuke tat dies nicht.
Er schwor mir seine Liebe und in seinen Augen glänzte nichts anderes als die feuchte Wahrheit, als er sie sprach, die Worte, die ich nun nicht mehr aus meinem Kopf herausbekomme.
„Ich werde das hier beenden und dann komm ich zu dir. Ich bleibe bei dir …“
Seine Worte.
Er sagte noch etwas anderes, aber ich will sie nicht aussprechen. Sie in meinen Gedanken aufbewahren, bis er sie mir selbst wieder liebevoll ins Ohr flüstern kann.
Mehr will ich nicht.
Was wohl gerade los ist?
Ich kann durch das Fenster nicht die Straße sehen, die vor dem Krankenhaus verläuft. Gab man mir absichtlich ein Zimmer, dessen Fenster zum Hinterhof zeigt?
Vermutlich.
Könnte ich die eilenden Ninja sehen und gerade, weil ich sie alle kenne, zwischen Jo-nin und Chu-nin, vielleicht auch sogar ANBU, unterscheiden kann, dann würde ich sicherlich sehr schnell nervös und meine Sorge um die beiden Brüder würde ins Unermessliche wachsen.
Ich will nicht, dass Sasuke stirbt, ist er immerhin doch der Vater meines Sohnes.
Außerdem … kann ich ohne ihn genauso wenig leben wie er ohne mich.
Ich lächele glückselig.
Und Itachis Tod erhoffe ich mir ebenso wenig.
Der Brief hatte ihn in ein anderes Licht gerückt, ein dämmriges, das ihm all seine Bösartigkeit nahm. Die ganzen Kämpfe, die wir zwischendurch ausgetragen hatten, auf der Suche nach Sasuke, sind vergessen. Es gab sie nie.
War was?
Nein, das Geräusch hatte ich mir wohl nur eingebildet.
Ich schüttele den Kopf, versuche wieder zu schlafen. Um den Gedanke an Sasuke loszuwerden, um nicht vor Sorge umzukommen und ihm an nächsten Morgen, wenn er dann an meinem Bett sitzen und geduldig mit mir warten würde, dass die Wehen einsetzen, ein glückliches Lächeln schenken.
„Du kannst mich doch nicht dumm sterben lassen.“
„Sakura, beruhig dich! Die Wehen haben wieder eingesetzt und dieses Mal ziehen wir das bis zum Ende durch! Du musst dich beruhigen!“
„Nein, das – das darfst du nicht! Nicht ohne ihn – er muss dabei sein!“
„Wir haben keine Zeit, auf irgendjemanden zu warten! Selbst, wenn es der Vater wäre – Sakura, ich bitte dich! Tief durchatmen!“
Sie versteht nicht … ich muss – er muss … hier sein!
Bei mir … ich kann nicht ohne ihn … muss …
„Sakura!“
Ich hatte das Gefühl, meinen Namen zwei Mal zu hören, fast zur gleichen Zeit, aber dennoch unterschiedlich. Die eine Stimme ist empört, fast schon entnervt und viel näher als die andere, die tiefer ist, aber eher ängstlich, etwas zittrig, weiter weg, jedoch näher kommend.
Sie wiederholt sich.
„Sakura!“
Lauter, immer lauter werdend.
„Hey – Sie können hier nicht rei … Sasuke?“
Ich verstehe den Rest von dem nicht mehr, was sie beiden Stimmen besprechen. Seit ungezählten Stunden versuche ich bereits diesen Schmerz zu ertragen, ihn irgendwie zu verdrängen, doch es ist nicht wie in meinen Träumen.
Wenn ich den Mund aufmache, ist er immer noch.
Mein Schrei ist laut, wenn ich glaube, nichts dürfte die Stille durchbrechen.
„Tsunade, lass ihn durch. Ich brauch … ihn …“
Ich weiß nicht, was sie noch aufhält, doch Ewigkeiten scheinen vergangen, als ich Sasuke Hand endlich in der meinen spüre, seinen warmen Atem auf meiner Haut fühle.
In den Momenten, in denen ich ruhig durchatmen kann, ergreife ich jede Chance, den Vater meines Kindes zu befragen.
Tsunades ärgerliche Blicke entgehen mir auf keinen Fall.
„Was ist passiert?“
„Wir … haben nicht gekämpft, bis Naruto mit Anhang kam … ich hätte nie gedacht, dass Itachi und ich jemals Seite an Seite kämpfen würden …“
„Und?“
…
„Sasuke!“
Er antwortet mir nicht mehr. Ich sehe zu ihm, wenn auch nur mit einem halb geöffneten Auge, will in die seinen sehen, die jedoch beide geschlossen sind. Die Augenbrauen zusammengezogen. Er beißt sich auf seine Unterlippe.
Sein Gesicht ist eine Mischung aus Zorn und Trauer und ich kann nicht erkennen, welches der beiden Gefühle ihn beherrscht. Ich habe ihn noch nie so gesehen und er redet nicht weiter. Ich weiß nicht, was passiert ist.
Überall ist Blut, doch ich kann erkennen, dass es überwiegend nicht sein eigenes ist. Ihn zieren nur wenige Wunden, die bluteten.
War Itachi …
Nein.
Von mir aus alle, nur nicht er.
Er kann gar nicht.
Er, der unglaubliche, mächtige, stolze, schlaue, unbesiegbare, schöne, große Bruder.
Alle, nur nicht er!
Er kann nicht …
Meine freie Hand greift zu Itachis Kette an meinem Hals.
Sie ist kalt von meinem Schweiß.
Kein Leben mehr …
„Darf ich vorstellen, Sakura? Haruno Madara.“
Ein Blick zu Sasuke, in sein lächelndes Gesicht, sein erschöpftes.
Er nickt.
Tsunade wieder zugewandt schüttele ich den Kopf.
„Nein … sein Name ist Uchiha Madara …“